Obwohl das Wort Allmacht heute verständlicherweise als Unwort empfunden wird, ist es für reformiertes Denken unverzichtbar. Aber in einem positiven Sinn: Weil Allmacht einzig und allein Gott gebührt und sonst niemand! Wenn dieses solus, das in reformatorischer Überzeugung an Christus gebunden ist, konsequent beachtet wird, dann geraten alle, die in ihrem Gebahren Macht reklamieren, unter Verdacht. Nicht dass es Macht nicht geben dürfte, aber immer muss gefragt werden: Wann masst sie sich an, was ihr nicht zusteht? Wann wird ihr Anspruch hybrid? Wann entmachtet sie Gott und setzt sich an seine Stelle? Wann kippt Macht in Allmacht um? Reformierte sind daher wesenhaft herrschaftskritisch. Ihre Herrschaftskritik zeigt sich nach innen als Religionskritik und nach aussen als Ideologiekritik.
Wirkliche oder scheinbare Allmachtsansprüche werden ideologiekritisch hinterfragt: politisch, wenn sich eine Tyrannei entwickelt hat und krasse Ungleichheit entsteht; ökonomisch, wenn Güterverteilung und Marktzwänge als unveränderliche Gesetzmässigkeiten dargestellt werden; religiös, wenn sich neue, angeblich gottgegebene Hierarchien einstellen.
Solche Kritikbereitschaft hat auch mit den eigenen Strukturen zu tun, die bottom up gestaltet sind und Partizipation ermöglichen, auch mit der reformierten Kardinaltugend der Nüchternheit, die sich nicht blenden lässt. Sie schlägt sich nieder: politisch im prophetischen Wächteramt, ökonomisch in der Option für die Armen, siehe Hülfsgesellschaft, und religiös im allgemeinen Priestertum aller Gläubigen.
So endet das Reformierte Gesangbuch der Schweiz von 1998 mit einem Gedicht von Kurt Marti dem ein Ausspruch von Gustav Heinemann zugrunde liegt: Der Himmel, der kommt, das ist der kommende Herr, wenn die Herren der Erde gegangen.
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